Vom 17. bis zum 18. Februar 2025 fand in Passau die 10-jährige Jubiläumstagung des Arbeitskreises Hochschullehre in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) statt. Die rund 26 Vortragenden und Teilnehmenden kamen von Hochschulen und Universitäten aus dem ganzen Bundesgebiet sowie aus Österreich. Neben Aktualität & Real World Problems in der Lehre wurde am ersten Tag auch der Frage nach Fachhochschule oder Universität sowie Kollaborationsmöglichkeiten nachgegangen. Abschließend wurde ein hybrider Roundtable zu Internationalen Beziehungen (IB) von großen Theorien und kleinen Strategien mit unterschiedlichen Perspektiven akademischer Statusgruppen inklusive Liveschalte nach Slowenien durchgeführt. Der zweite Tag widmet sich der Hands on Methodenwerkstatt zu KI Nutzung in der Lehre sowie einer Bilanz von 10 Jahre AK Hochschullehre – Was kommt, was geht? Dabei wurden unter anderen Themen wie Heterogenität und Binnendifferenzierung, eine feministische Haltung sowie Political Correctness in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre diskutiert. In diesem Beitrag schildert Bernadette Gruber ihre Eindrücke der beiden Tage.
Ein Konferenzbericht von Bernadette Gruber
Der Arbeitskreis Hochschullehre blickt zurück auf sein zehnjähriges Bestehen als „lohnenswerte Reise“ so Julia Reuschenbach (Sprecherin des AKs). Da „Lehre überall zuhause ist“, fördern Veranstaltungen wie diese den interdisziplinären Austausch in der Politikwissenschaft und tragen dazu bei, dass Politikwissenschaft nicht nur als Fachwissenschaft, sondern auch als Lehr- und Didaktikfach verstanden wird. Dieser Ansatz weckt auch Interesse im Nachbarland Österreich, wo bisher politische Bildung überwiegend fachfremd über die Geschichtsdidaktik unterrichtet wird. Der kürzlich veröffentlichte, nationale Bildungsbericht in Österreich räumt jedoch der Demokratiebildung mehr Platz ein, was eine Stärkung der Sektion Politikdidaktik der ÖGPW ermöglicht, so Lara Kierot von der Universität Wien und signalisiert Offenheit für zukünftige Kooperationen. Denn Themen wie der Umgang mit Aktualität in der Lehre stelle alle Lehrenden in der Politikwissenschaft vor ähnliche Herausforderungen.
Ein Ausweichen vor komplexen Themen aus der Tagespolitik sei keine Option, so der Konsens in der Diskussion. Studierende prallen mit der Aktualität in politikwissenschaftliche Lehre und fordern den Bezug zwischen Lehrinhalten und Weltgeschehen ein. Wenn wir nicht darauf eingehen, werden wir sie verlieren, auch als Multiplikator*innen für Wissenschaft in der Gesellschaft. Prof. Stahl erläutert im Roundtable IB ,Von großen Theorien und kleinen Strategien‘ die Anwendungsmöglichkeit von unterschiedlichen Theorien auf das Tagesgeschehen. Eine Theorie wird nicht alles erklären können, aber eben Teilbereiche. Dies stärkt das Verständnis von Pluralität in der Wissenschaft und ermöglicht das Einordnen von teilweise hochemotionalem, politischem Weltgeschehen insbesondere, wenn Studierende auch durch ihre Herkunft eine Betroffenheitsperspektive mit in den Lehrraum bringen. Eine feministische Haltung in der Lehre kann dazu beitragen, Vulnerabilitäten der Studierenden zu berücksichtigen, so Christine Buchwald von der Hochschule Rhein-Waal. Die Begegnung auf Augenhöhe mit Studierenden, individuelle Austauschmomente sowie die Bereitschaft das eigene Handeln und die eigene Position immer wieder zu reflektieren, können dazu beitragen, den Bedürfnissen der Studierenden im Lehrkontext besser gerecht zu werden. Das kann die Betroffenheit von einem aktuellen Weltkonflikt genauso wie die Angewiesenheit auf eine Lesehilfe sein, die Sonderzeichen in der geschlechtergerechten Sprache nicht verständlich ausgibt. Ein Bewusstsein von Diversität in der Gesellschaft sowie das Zulassen dieser in der Seminargruppe kann Demokratie stärkend sein und autoritären Tendenzen, die auf Homogenität und Einheitlichkeit setzen, entgegenwirken.
Eine Möglichkeit, das Thema Inklusion bewusst in die Lehre oder öffentliche Einrichtungen einzubringen, ist das Einladen von Bildungsfachkräften. Das sind Menschen, die Erfahrungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung gesammelt haben, und seit 2013 nach dem Curriculum des Kieler Modells rechtlich und methodisch geschult werden, um professionalisiert als Expert*innen in eigener Sache über Behinderungen in der Gesellschaft und dem aktuellen Umgang damit aufzuklären.
Neben der Demokratisierung von Lehre können auch Forschungsprozesse im Kontext von partizipativer Forschung oder Citizens Science Laien zugänglich gemacht werden. Dies ist ambivalent zu betrachten, da eine Beteiligung an Forschungsprozessen nicht immer zu mehr Verständnis von Wissenschaft führt, wenn nicht genug Zeit für die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Akteure bereitgestellt und kein Fokus auf das aktive voneinander Lernen gelegt wird.
„Science is made by the few not the many”
Das beschreibt eine der multiplen Achillesfersen der Wissenschaft. Auch wenn Populismus als analytischer Begriff umstritten ist, findet sich der Aspekt des Anti-Elitarismus im Populismus jeder Couleur. Die selbsternannten Vertreter*innen des vermeintlich wahren Volkswillens verneinen die Heterogenität der gesellschaftlichen Meinungen und vereinfachen durch die Dualität von elitären Machthabenden, die von Populist*innen abgelöst werden müssen, die tatsächliche Faktenlage, dass letztere demografisch oft aus bestehenden Eliten kommen. Weltweit erleben populistische Bewegungen ein Momentum auch durch die Diffamierung von international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen wie beispielsweise zum Klimawandel als ungerechtfertigte Interessen anderer Länder, wobei Forschung als technokratisch und entgegen dem gesunden Menschenverstand dargestellt wird.
Bereits in der öffentlichen Debatte während der Corona-Pandemie, erlitt die Wissenschaft einen starken Vertrauensverlust, als wissenschaftliche Erkenntnisse durch sich ständig ändernde Empfehlungen und Interpretationen unter Druck gerieten. Folglich macht sich die Wissenschaft angreifbar, wenn sie als Politikberatung agiert. Wechselnde Ergebnisse, die je nach Zugang und Methodik variieren, fördern in weiten Teilen der Bevölkerung nicht das Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse. Umso wichtiger ist es in der Lehre, diese Unsicherheiten den Studierenden zu vermitteln und durch das Erlernen unterschiedlicher Methoden und Theorien, einen Fokus auf die Pluralität in den wissenschaftlichen Ansätzen zu legen. Nur so können Studierende im besten Fall Multiplikator*innen für eine Wissenschaft werden, die ein zentraler Teil der gesellschaftlichen Wissensgenerierung ist und aufgrund ihrer unterschiedlichen Disziplinen und Traditionen auch widersprüchliche Ergebnisse umfasst. Debatten und Kontroversen sind die Grundlage für die Möglichkeit des Findens eines wissenschaftlichen Konsenses.
Was kann politikwissenschaftliche Lehre leisten?
Ambiguitätstoleranz und kritisches Denken können als wichtige Aufgaben der politikwissenschaftlichen Lehre gesehen werden, die auch in Zeiten von KI und Desinformation zentrale Kompetenzen sind, um sich in der Welt zurecht zu finden (Employability). Deswegen wurden in der KI-Methodenwerkstatt nicht nur aktuelle Entwicklungen und neue Tools besprochen, sondern auch ausprobiert. KI wird die Notwendigkeit der Recherche- und Schreibkompetenz nicht ersetzen, sondern schlimmstenfalls die Unterschiede zwischen Studierenden mit unterschiedlichem Bildungshintergrund verschärfen. Um das zu verhindern oder abzuschwächen, sollte KI und ihre Nutzungsmöglichkeiten nicht aus der Lehre ausgeklammert werden, sondern proaktiv allen Studierenden Optionen der Schreib- und Lernunterstützung aufgezeigt werden. Sei es das Lösen von Schreibblockaden durch Gliederungsvorschläge, das Einholen von Feedback auf einen selbstverfassten Text oder das Generieren von Zusammenfassungen für einen ersten Einblick in das Feld. Auch das Erstellen von Testaufgaben für die Überprüfung des eigenen Lernfortschritt funktioniert sehr gut mit einem KI-Tutor wie es ihn an der Universität Münster gibt, dessen Datensatz lediglich die erweiterten Seminarinhalte umfasst. Neben dem Nachteil, dass Fragen, die nicht exakt im Datensatz erörtert wurden, nicht beantwortet werden, ist die Ausgabe von falschen Informationen im Gegensatz zu anderen gängigen LLMs so gut wie ausgeschlossen. Studierende nutzen beide Angebote.
Neben der unkritischen Nutzung von KI besorgt auch der Konsum von Nachrichten über soziale Netzwerke Dozierende, die immer wieder feststellen, dass Studierende teilweise nicht über die Schlagzeilen hinaus tagesaktuell informiert sind. Das Abnehmen von tiefgreifenden Lese-, Recherche- und Grafikfähigkeiten wird beobachtet, was sich auch in anwendungsnahen Projekten wie Plakatkampagnen für die Bundestagswahl 2025 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigte, das im vergangenen Wintersemester zum vierten Mal auch hochschulübergreifend stattfand. Technische Gegebenheiten wie Layout-Tools, die von Parteien für eigene, lokale Verbände bereitgestellt werden, um die Social Media Posts einerseits zu vereinheitlichen, andererseits unterschiedliche Teilgruppen der Wählerschaft anzusprechen, werden auch von Studierenden genutzt und begrenzen die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten. Deswegen bevorzugt Volker Best (Universität Halle) Plakatkampagnen, die Studierende erarbeiten sollen, da auf sehr begrenztem Platz, die gesamte potenzielle Wählerschaft angesprochen werden muss und die haptischen Produkte auch in Form von Ausstellungen außerhalb der Lehrveranstaltung Sichtbarkeit bekommen können.
Ein weiteres Beispiel für die Nutzung der Aktualität demokratischer Wahlen in der politikwissenschaftlichen Lehre – was in ähnlicher Form auch an anderen Hochschulen und Universitäten stattfindet – ist ‚Polls and Politics: Forecasting the 2024 US Presidential Election‘ von Jan Niklas Rolf an der Hochschule Rhein-Waal, das im WiSe2024/25 im Seminarformat angeboten wurde. Dem Höhepunkt in der Wahlnacht gingen vier umfassende Input Sitzungen voraus. Nach qualitativen und quantitativen Inhaltsanalysen der Reden der Präsidentschafts- und Vizekandidaten, Milieustudien mit popkulturellen Artefakten und frühe Beispiele von Fake News unter anderem in der Bildbetrachtung von Paul Reveres ‚Engraving of the Boston Massacre‘ von 1770, sagten die am Wahlabend vorgestellten studentischen Prognosen einen knappen Sieg für Trump vorher. Als benotetes, schriftliches Prüfformat galt es die tatsächlichen Abweichungen der eigenen Prognosen einzuordnen. Der Eventcharakter einer solchen Lehrveranstaltung ist motivierend und das öffentliche Interesse biete eine Fülle an aktuellem Unterrichtsmaterial. Doch unvorhergesehene Situationen wie Kandidatenwechsel, Attentate oder der Umgang mit möglichen Ausschreitungen nach den Wahlen sind herausfordernde Aspekte dieses Lehrformats. Aufgrund des Wahlzyklus sowie der uneindeutigen Siegestendenz zwischen den Kandidaten sind die Replikationsmöglichkeiten begrenzt.
Sorgen um den modernen Staat
Mit dem Blick auf die USA gerichtet, erinnerte Prof. Dr. Henrique Otten der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW durch eine reine Auflistung der Kriterien einer Bürokratischen Verwaltung in Max Webers Herrschaftssoziologie, an die berechtigten Sorgen um den modernen Staat und die Unumkehrbarkeit des historisch einmaligen Maßes an Berechenbarkeit staatlichen Handelns. Da durch die Autoritäre Versuchung nicht nur populistische Angriffe auf die Demokratie, sondern auch auf die Wissenschaft zunehmen, gilt es sich damit in Forschung und Lehre auseinanderzusetzen. Algorithmen und gezielte Desinformation, insbesondere durch staatliche Akteure wie Russland, schwächen das Vertrauen in die Demokratie. Auch die neue Führung in den USA forciert einen Vertrauensverlust in die Wissenschaft oder nimmt diesen billigend in Kauf, wenn es den eigenen Interessen dient.
Der intensive Austausch auf der Jubiläumstagung verdeutlichte, wie vielfältig die Herausforderungen für die politikwissenschaftliche Lehre sind. Insbesondere der Umgang mit Real World Problems in der Vermittlung von wissenschaftlichen Methoden und Theorien sowie die Bedeutung, die soziale Frage in Demokratiebildung miteinzubeziehen, stellen auch weiterhin zentrale Aufgaben für die politikwissenschaftliche Lehre dar. Sie muss sich mit der Komplexität aktueller, politischer und gesellschaftlicher Phänomene auseinandersetzen und gleichzeitig den Studierenden Werkzeuge an die Hand geben, die langfristig einsetzbar sind, um kritisches Denken zu fördern und verantwortungsbewusste Handlungsfähigkeit zu stärken.
Aus diesem Grund möchte der AK HS-Lehre bereits für Herbst 2025 einen vertiefenden KI-Workshop ankündigen. Mit großer Dankbarkeit wurde Matthias Freise als vielfältig engagierter Sprecher des AKs verabschiedet und die Unterstützung seiner möglichen Kandidatur für den DVPW-Vorstand zugesagt. Der AK HS-Lehre freut sich über Bewerbungen für Ämter im Sprecher*innen Kreis und der Herausgeberschaft der Kleine Reihe, die sich seit 8 Jahren als erfolgreiches Projekt parallel zum AK etabliert hat. Bisher gab es oft Überschneidungen zwischen diesen Rollen, was nicht zwangsläufig so fortgeführt werden muss.

